Bremen: Fahrradstadt oder Autostadt?

by | Jun 21, 2019

Seitdem wir mit unserem Weblog online sind, seit fast drei Jahren also, kam immer wieder eine zentrale Frage auf: Wie hat Bremen es eigentlich geschafft, dass hier gegen den Trend rund 25% aller Wege auf dem Rad zurückgelegt werden? Wie lautet der Zaubertrank, um die Nummer 1 unter den Fahrrad-Großstädten zu sein und zu bleiben?

Wenn wir nicht an Magie glauben, so sollten wir uns an Fakten halten, und da hilft es, sich die Zahlen und die dahinter liegenden Ereignisse über die letzten Jahrzehnte hinweg anzusehen.

Es ist erstaunlich für eine “Fahrradstadt”, dass es so wenig historisches Material über das Fahrradfahren in der Stadt gibt. Sogar die umfassende Geschichte der Freien Hansestadt Bremen von Barfuß, Müller and Tilgner befasst sich nicht mit diesem Sujet. Und als wir das erste Mal das Bremer Staatsarchiv besuchten, um für unser erstes Video und ersten Textbeitrag zu recherchieren, fanden wir nur wenige historische Veröffentlichungen, die uns – sehr oft ohne Quellenangabe – kleine Einblicke in die Rolle des Fahrradfahrens im Verhältnis zu den anderen Verkehrsträgern gewährten.

 Ein einziger umfassender Aufsatz über die Geschichte des Fahrradfahrens in Bremen ist 1987 in dem Buch Verkehr in Bremen erschienen: “Radfahren in Bremen” von Thomas Froitzheim und Arne Lüers (S. 41ff) versucht, die Geschichte des Fahrradfahrens bis in die 80er Jahre aufzuarbeiten, allerdings fehlen Quellenangaben für die Zahlen über den Modal Split, den Anteil des Radverkehrs an den zurück gelegten Wegen in Bremen.

Ging das Fahrradfahren nach dem 2. Weltkrieg drastisch zurück, wie Froitzheim und Lüers behaupten? Sie geben einen Modal Split von 10,7% in 1961 und nur 5,3% in 1970 an. Wir haben einen der beiden Autoren kontaktiert, um an die Quelle zu kommen, aber leider konnte er uns keine Quelle nennen, “Staatsarchiv” war die Antwort. Da kamen wir ja nun gerade her.

Etwas aktueller ist die European Platform on Mobility Management. Hier können wir Modal Split Daten von 508 Städten in ganz Europa und natürlich auch für Bremen erfahren. Offenbar kommen die Zahlen von der in Fachkreisen gut bekannten und auch aus unserer Erfahrung seriösen Forschungsgruppe Socialdata aus München. Folgen wir den Zahlen von EPOMM, so lag der Radanteil in Bremen 1976 bei 16% und wuchs dann über die Jahrzehnte bis 2008 auf 25%:


EPOMM-Zahlen für Bremen seit 1976, Quelle: http://epomm.eu/tems/result_city.phtml

Ganz aktuelle Daten für Bremen bietet uns die TU Dresden mit ihrem laufenden Projekt Mobilität in Städten, in dem alle fünf Jahre die Mobilitätsdaten für ausgewählte Städte ermittelt werden. Nachdem also die Fahrrad-Zahlen in Bremen 30 Jahre lang gestiegen sind, stellte die TU Dresden für 2013 einen Fall auf 23,4% fest. Die Zahlen für 2018 sind noch nicht veröffentlicht worden.

Diese Zahlen lassen vermuten, dass die drei Top-Fahrradstädte (mit mehr als 500.000 EinwohnerInnen) in Europa, nämlich Amsterdam, Kopenhagen und Bremen sehr hart darum zu kämpfen hatten, um das Fahrradfahren wieder zu etablieren. Denn auch Bremen – wie auch Amsterdam und Kopenhagen – war nicht immer eine Fahrradstadt. Der Autoboom der 60er Jahre hatte auch in Bremen das Fahrradfahren fast zum Erliegen gebracht. Der Umschwung kam just zu der Zeit als 1973 die berühmte Mozarttrasse und damit das Autobahnprojekt mitten durch die Stadt verhindert wurde.

Das Anwachsen des Fahrradverkehrs in den darauf folgenden 30 Jahren ging zusammen mit der Gründung des ADFC in Bremen, mit einem aufsässigen Fahrradaktivisten in der Bremischen Verwaltung und dem Bau neuer roter Radwege, die bis heute existieren. Die Ergebnisse waren erstaunlich und könnten heute als die erste Bremische Verkehrswende bezeichnet werden.

Aber wenn wir uns die Ergebnisse heute kritisch ansehen, so ist zu erkennen, dass die Etablierung des normalen Alltags-Fahrradfahrens vor allem auf Kosten der FußgängerInnen und nicht so sehr gegen die Interessen des Autoverkehrs erfolgt ist. Die Zahl der in Bremen zugelassenen Kfz ist in die 90er Jahre hinein gewachsen und wächst bis heute.

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255181/umfrage/bestand-an-pkw-in-bremen/

Der Bau von Stadtautobahnen ist schlicht an den Rand der Stadt verlagert worden, wir haben nun Autobahnen in den Vororten bzw. mehrspurige Zubringer wie die Kurfürstenallee und Neuenlander Straße. Und die Arbeit an der A281, die einen Autobahnring rund um Bremen darstellen soll, begann 1995 und soll bis 2024 beendet sein, wenn das 345-Millionen-Euro-Projekt des Wesertunnels steht.

Was das zahlenmäßige Niveau des Fahrradfahrens angeht, hat sich seit 2008 wenig getan. Der 25% Radanteil (der leider nach 2008 sogar unterschritten wurde) hat sich zur berühmten gläsernen Decke entwickelt. Seit 10 Jahren wird nun in Bremen über die Verkehrswende gesprochen, und der Rot-Grüne Senat mit einem Grünen Verkehrssenator hat sich viel vorgenommen, wollte die Fahrradzahlen anheben.. Parallel dazu waren die vergangenen 20 Jahre in Bremen davon geprägt, das Fahrradfahren auf der Fahrbahn zu propagieren, ADFC und Verwaltung haben lange in dieses Horn geblasen. Es wurden Fahrradstraßen gebaut, die wenige oder gar keine Einschränkungen für den Autoverkehr bedeuteten – abgesehen von einem 30 km/h Tempolimit, das regelmäßig überschritten wird. Der Verkehrssenator hat sogar eine Kampagne für das Radeln auf der Fahrbahn angezettelt.

 Aber in den vergangenen Jahren hat sich der Ton etwas geändert. Der ADFC hat angefangen, für “Geschützte Radfahrstreifen” zu werben, das setzt die Trennung von Rad- und Autoverkehr voraus. Die Kritik an der Bremischen Politik für “Fahrradstraßen Light” wächst. Gerade jetzt laufen die Verhandlungen zu einer neuen Bremischen Regierungskoalition, Rot-Grün-Rot mit der Partei “Die Linke”, die durchaus fahrradfreundlich daher kommt.

Was wir nun endlich brauchen, ist eine deutliche Reduzierung des Autoaufkommens auf den Bremer Straßen. Der Bau der Radwege in den 1980ern hat das Alltagsradeln wieder salonfähig gemacht, parallel dazu nahm aber auch die Zahl der in Bremen zugelassenen Kfz zu. Deswegen – auch wegen des Mercedeswerks in Bremen – haben wir die laufende Debatte um die Frage, ob Bremen denn nun eine Autostadt oder eine Fahrradstadt ist. Werden wir jetzt mit der neuen Koalition mehr Radwegebau sehen, das den Radanteil auf deutlich über 30% hebt? Und können wir endlich den Autoanteil senken? Wir halten Euch auf dem Laufenden.

*Für die Videomusik danken wir Fred Frith.

 

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3 Comments

  1. Karsten

    “Wie lautet der Zaubertrank, um die Nummer 1 unter den Fahrrad-Großstädten zu sein und zu bleiben?”

    Ich glaube, die Analysen sind alle richtig (Radwegebau, ADFC, progressive Verwaltung), aber meine These ist, dass geographische Begebenheiten die Entwicklung ebenso begünstigt haben: Bremen hat keine nennenswerten Steigungen (und dieser Vorteil lässt den gelegentlich Wind und Regen verblassen). Und Bremen ist eine Stadt der kurzen Wege. Ich vermute, dass in Bremen der Anteil der Leute, die Arbeit, Schule, Ärzte, Behörden, etc. in Fahrradentfernung haben, höher ist als in anderen Städten.
    Das soll natürlich keinen Vorwand bieten, sich auf diesem “Startvorteil” auszuruhen.

    “Der Bau der Radwege in den 1980ern hat das Alltagsradeln wieder salonfähig gemacht”

    Sorry, wenn ich mich wiederhole. Die Radwege sind vielleicht ein Grund dafür, warum der Radverkehrsanteil auf 25 % steigen konnte. Aber vielleicht sind diese Radwege aus den 80igern auch der Grund, warum der Anteil nicht weiter steigt. Sie sind schlicht ungeeignet für aktuelle und zukünftige Anforderungen.

    “Was wir nun endlich brauchen, ist eine deutliche Reduzierung des Autoaufkommens auf den Bremer Straßen.”

    Ja genau. Ich halte diese Forderung für wichtiger als die Forderung nach Separierung.

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  2. Alfons Krückmann

    Das Dilemma von steigendem Radverkehrsanteil (Einwohner-Wege-modal.split) und gleichzeitig steigendem Autoverkehr ist ja nicht nur in Bremen ein Problem.
    Gerade auch die Niederlande zeigen mit wahrlich deprimierend hohen und kontinuierlichen Zuwächsen beim Autoverkehr dieses grundsätzliche Problem der Radverkehrsseparation auf.
    Beim gegenwärtigen Kurs der Renaissance des autogerechten Radwegebaus wird sich das Problem noch verschärfen.
    Binnenkonkurrenz im Umweltverbund zu Lasten des ÖPV, zu Lasten des Fussverkehrs und zu Gunsten des ‘billigen’ Radverkehrs, sowie Anstieg der MIV-Fahrleistung.

    Da aber starke Lobbys hinter dem neuen Radwegebau-Trend stecken wird es erstmal weitergehen mit dem autogerechten Radwegebau.
    Siehe z.B. diese BMW-Studie:
    https://www.studio-stadt-region.de/files/4915/4273/4800/180604_Modellstadt_2030._Broschuere_final.pdf

    ADFC ADAC IHK BMW/Daimler Radentscheide etc. sind ja mittlerweile auf einer Linie:
    autoarm gentrifizierte Innenstädte mit separiertem Radverkehr und verbesserter ‘liveability’ (nebst damit verbundenen Immobilienaufwertungen = höheren Mieten) bei gleichzeitig verbesserten automobilen Erreichbarkeitsradien des Stadt-Umland Verkehrs.
    Im Marketing-Jargon von ADFC/Radentscheid heisst das dann:

    “(verstärkter Radwegbau) nutzt auch denen, die wirklich aufs Auto angewiesen sind”

    So geht dann der Automobilismus fröhlich in die nächste Runde, mit noch mehr hindernisfreiem Autoverkehr, noch mehr Radwegen und noch stärkerem Trend zu Regionen der weiten Wegen, nebst Flächenversiegelung, Rohstoff-Plünderung und so weiter …

    Nicht nur hat die Metropolregion Kopenhagen rückläufigen Radverkehr und steigenden Autoverekehr (wie auch gesamt-DK), sondern auch das große Vorbild Niederlande glänzt mit fast 0,8% jährlicher Steigerung der MIV Fahrleistung, was für die deutsch Radwegebau-Szene natürlich heisst:

    “lets go dutch”.

    Das Problem im 21 Jhd. ist NICHT, dass zu wenig Menschen ofter mal Rad fahren, sondern dass die Fahrleistung des MIV permanent weiter steigt, ohne dass es ernsthaften Druck gibt diese zu beschränken und wirksam schnell und konsequent rückzuführen.

    Stattdessen: autogerechter Radwegbau.

    Herr wirf Hirn!

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    • Beatrix Wupperman

      Lieber Alfons Krückmann, ich unterschreibe viele Ihrer/Deiner Thesen, aber den Radwegebau als Schuldigen für den steigenden Autoverkehr auszumachen – und so verstehe ich die Essenz des Kommentars – erschließt sich mir nicht. Oder habe ich etwas falsch interpretiert?
      Auch ist es irreführend den Berliner Radentscheid mit ADFC/Radentscheid zu kennzeichnen. Und auch die Radentscheide so fröhlich mit ADAC und Autofirmen zu kombinieren, ist schlicht falsch.
      Ich unterstütze den letzten Halbsatz: “die Fahrleistung des MIV permanent weiter steigt, ohne dass es ernsthaften Druck gibt diese zu beschränken und wirksam schnell und konsequent rückzuführen.” Aber ich schließe daraus, dass wir dem Autoverkehr Platz wegnehmen müssen, um das Autofahren unattraktiver zu machen. Würdest Du das mit unterschreiben?

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