Plötzlich Blau

by | Sep 15, 2016

 

Die Bremer Neustadt, ein dicht bewohnter Stadtteil, der im Süden an die Weser angrenzt, wird in offiziellen Darstellungen als ein Stadtteil mit ruhigen Seitenstraßen und liebenswerten alten Häusern beschrieben. Aber wie vielerorts ist dieser Charme sehr verblichen durch das Auto und seine Unterstützer. Als nun eine Gruppe von Bewohnern die Initiative ergriff, um den Verkehr in den Straßen zu beruhigen, war die Hoffnung, dass die Verantwortlichen der Stadt – immerhin leitet ein grüner Senator das Ressort für  Umwelt, Bau und Verkehr – der Initiative positiv begegnen würde, aber ihre Reaktion war unerwartet negativ.

Anfang Juli 2016 erregte eine blaue Fahrbahnmarkierung in der Lahnstraße im kinderreichen und bevölkerungsreichsten Stadtteil Bremens – der Neustadt – die Aufmerksamkeit der Bremer Öffentlichkeit. Was war geschehen?

Wir – Aktive der Initiative Lahnstraße – waren zur Tat geschritten und hatten, beispielhaft und die Legitimität der Aktion hervorhebend eine der neun kritischen Einmündungsstellen in der Lahnstraße mit blauer Farbe markiert.

 Das Ergebnis war deutlich sichtbar, und man konnte immer wieder sehen, dass sich die Verkehrsteilnehmer – v.a. die Autofahrer auf der Lahnstraße – viel umsichtiger in Bezug auf den Fahrradverkehr, die Fußgänger und die Beachtung der Rechts vor-Links Grundregel verhielten.

 

Es waren einige Dinge zusammengekommen, die uns schließlich veranlasst hatten, etwas auf eigene Initiative und Verantwortung zu tun:

  • Da war (und ist) die seit Jahren zu beobachtende Unfähigkeit „der Stadt“ (des Bremer Stadtamtes) für die Verkehrssicherheit in den Wohnstraßen des Viertels zu sorgen (zugeparkte, damit kaum einzusehende Einmündungsbereiche; Missachtung der 30 km Höchstgeschwindigkeit; nur noch eingeschränkt benutzbare Gehwege; Fußgänger, die auf die Fahrbahnen ausweichen müssen etc.)
  • Da ist das lapidare und immer wieder zu hörende „eine weitergehende Bearbeitung kann auf Grund mangelnder Ressourcen nicht erfolgen“ von Seiten des Bremer Amtes für Straßen und Verkehr (ASV)
  • Da hatte der Beirat des Stadtteiles die von der Initiative vorgelegte Planung einer kostengünstigen Umgestaltung der Lahnstraße einstimmig begrüßt und der Stadt zur Prüfung ans Herz gelegt, letztlich aber keine Möglichkeit gesehen, eine detaillierte Planung und (schrittweise) Umsetzung durchzusetzen
  • Da war das immer wieder im-Sande-verlaufen-lassen von deutlichen Hinweisen der Polizei wie auch beispielsweise des ADFC auf die Beinahe-Unfälle in der Lahnstraße.

Um ein praktisches und wirksames Zeichen zu setzen, um ein Beispiel zu geben, wie man mit einfachen, schnellen und kostengünstigen Mitteln die Verkehrssicherheit vor allem für Fußgänger und Fahrradfahrer erhöhen kann, haben wir die blaue Farbe – ohne Genehmigung von Seiten der Stadt – auf die Fahrbahn aufgebracht.

 Das Echo von politischer und amtlicher Seite und von Seiten der interessierten Öffentlichkeit war sehr groß. Zustimmung und Anerkennung der Legitimität dieses Ansinnens erfolgten häufig direkt im persönlichen Gespräch und durch vereinzelte zustimmende Briefe an die Verursacher, Ablehnung erfolgte so gut wie immer schriftlich – von Seiten des Amtes und der Politik – und im Stillen „von irritierten Anwohnern“, wie das Amt verlauten ließ.

An dieser Stelle hätte es dem grünen Verkehrssenator Joachim Lohse gut angestanden, das Gespräch mit der Initiative und auch mit dem Beirat des Stadtteiles zu suchen. Leider passierte das noch nicht einmal in Ansätzen, vielmehr ließ der Senator durch seinen Sprecher verkünden, dass diese blaue Fläche eine Gefährdung darstelle, dass sie die Autofahrer irritiere und überhaupt sich gegen die Straßenverkehrsordnung richte. Also fand das viel beschäftigte ASV die Zeit, um – mit Rückendeckung durch den Verkehrssenator – die Entfernung der Farbe anzukündigen, zu planen und kurzfristig auszuführen.

Nun ist die blaue Markierung unter erheblicher Anteilnahme der regionalen Medien wieder entfernt: Mit ungewohnter Schnelligkeit hat das Amt für Straßen und Verkehr unter Einsatz von schwerem Straßenbaugerät die blaue Markierung abgefräst und gleich 3 cm Asphaltschicht neu aufgebracht. Der Zustand der Straße ist wie zuvor, die Stadt hat eine Möglichkeit, etwas für die Verbesserung der Sicherheit an dieser Einmündungsstelle zu tun, erst einmal vertan.

Für uns ist jedoch spürbar (Zufall oder ursächlicher Zusammenhang?), dass die lokale Politik (Beirat) deutlich energischer die Umsetzung von Maßnahmen von der Stadt (dem ASV) einfordert, u. a.:

  • Es sollen an zwei der u. a. von den „Blaumachern“ monierten Kreuzungen in besagter Lahnstraße (weiße?) Stopp-Balken aufgemalt werden
  • Das Stadtamt wurde aufgefordert, die Überwachung des ruhenden Verkehres zu intensivieren
  • Das ASV hat den Auftrag, „nun endlich“ die Möglichkeit der Umwandlung der Lahnstraße in eine Fahrradstraße zu bearbeiten.

Und:  Wir haben viele Bewohner des Viertels kennengelernt, denen die Vernachlässigung der Verkehrssicherheit seitens der Stadt völlig unverständlich ist. Zudem haben wir mit einer ganzen Reihe von Personen im Stadtteil Verbindungen knüpfen können, die für die Umsetzung zukünftiger Projekte sehr hilfreich sein dürften.

Wie geht es weiter?

Wir bleiben am Ball, wir setzen uns dafür ein, Bremen in eine „Stadt für Menschen“ zu entwickeln, in eine Stadt, die Fußgängern, dem Fahrradverkehr und der Nutzung des ÖPNV Vorrang gibt, die im Wissen um unser Aller Verantwortung für die Entwicklung des Klimas und des Zusammenlebens tatkräftig Schritte in Richtung einer lebenswerten Zukunft unternimmt:

  • Wir verfolgen die Umsetzung der o.g. Maßnahmen,
  • Wir unterstützen das Projekt „Fahrradmodellquartier Neustadt“ (das auch besagte Lahnstraße als Fahrradstraße einbezieht)
  • Wir bereiten uns intensiv auf eine vom Beirat für November angekündigte „Planungskonferenz Ruhender Verkehr“ vor
  • Wir konzentrieren uns zurzeit auf Überlegungen und Maßnahmen, die mit Hilfe einer großflächigen Parkraumbewirtschaftung Räume und Mittel für einen langfristig lebenswerteren Stadtteil schaffen, dessen Bewohner ihren Anteil zur Verringerung der CO2– Belastung der Umwelt beitragen und die dazu beitragen, den Menschen die Stadträume für ihr gutes Zusammenleben zurückgeben.

 Die Vorgänge und die Kommunikation rund um das „Plötzliche Blau“ sind in einer Dokumentation erfasst. Insbesondere lesenswert finden wir unseren Antwortbrief an den Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (Antwortbrief an den Senator für UBV), der eine Reihe der von offizieller Seite getätigten Aussagen aufgreift und durchleuchtet.

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3 Comments

    • Cornelia Ernst

      Hallo Norbert,
      vielen Dank für deinen guten Tip.

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  1. Awangs Geelbeensche

    Danke für die Initiative, diesen Artikel sowie die Bereitstellung des Antwortbriefes an den Senator für UBV. Die Bereitschaft und das Engagement der Akteure Wiedenmann und Köhler-Naumann sich an einem konstruktiven und handlungsorientierten Dialog zur Standortattraktivität Bremen zu beteiligen ist vorbildhaft!

    Es wird Zeit, daß gewählte Parteien im Land Bremen ihre Behörden leiten und sich nicht von den eigenen Apparaten müde belächeln lassen. Nur Mut Bremer SenatorInnen(!) – bei jeglichen Gestaltungsbemühungen zu einer lebenswerteren und nachhaltigeren Stadt, wird Bremen schon heute nicht mehr zu den ersten im Lande gehören – es kann doch auf bereits Erprobtes in anderen Städten zurückgegriffen werden! Wenn wir es denn wagen über den eigenen Tellerrand zu schauen. Dieser Blog und seine Akteure helfen dabei. Danke.

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