Edinburgh – eine aufstrebende Fahrradstadt

by | Feb 13, 2025

Schottlands Hauptstadt Edinburgh und Bremen sind in vielen Punkten vergleichbar. So ist Edinburgh mit rund 560.000 Einwohner*innen fast so groß wie die Freie Hansestadt Bremen (584.000). Wie Bremen verfügt sie über ein altes Hafengebiet, das inzwischen entindustrialisiert ist und langsam in ein Wohngebiet umgewandelt wird. Aber abgesehen davon, dass sie auch eine Fußballmannschaft hat, die in Grün und Weiß spielt, enden die Ähnlichkeiten hier.

Edinburgh ist um sieben Hügel herum gebaut. Zusammen mit dem steilen Abstieg vom Stadtzentrum zum alten Hafen von Leith und der Küste macht dies die Stadt zu einer besonders hügeligen Stadt, die für Radfahrer eine Herausforderung darstellt. Trotzdem haben die 2020er Jahre das Gefühl, dass die Stadt die niedrigen Radfahrerzahlen, die für einen Großteil des Vereinigten Königreichs typisch sind, hinter sich lassen wird und ein neues Jahrzehnt beginnt.

Ein großer Teil des Anstoßes für die frühe Entwicklung des Radverkehrs in Edinburgh kam von der Fahrradkampagnenorganisation der Stadt, Spokes. Spokes wurde 1977 bei einem von Friends of the Earth organisierten Treffen gegründet und setzte sich schon bald für die Umwandlung einer Reihe stillgelegter städtischer Bahnlinien in Radwege ein. 1981 kaufte der Lothian Regional Council stillgelegte Eisenbahnstrecken im Norden Edinburghs von British Rail. Spokes gründete sofort eine Railways-Gruppe, die sich für deren baldige Umwandlung in Radwege einsetzte. Die erste derartige Strecke führte in den Süden der Stadt, die Innocent Railway Route, die 1982 eröffnet wurde. Die Bahn wurde ursprünglich 1831 als Pferdebahn gebaut. Man nimmt an, dass der Name „Innocent“ von der Tatsache herrührt, dass die Bahn im Zeitalter der aufkommenden Dampfkraft noch von Pferden gezogen wurde. Die Bahnlinie wurde 1968 stillgelegt.

1986 erhielt Spokes vom Stadtrat die Erlaubnis, auf 1 km der Pilton-Bahnstrecke einen Radweg anzulegen. Er wurde als Teil des 7 km langen Netzes in Nord-Edinburgh eröffnet. Von da an wuchs das Radwegenetz langsam und unregelmäßig, da die politische Führung mal fahrradfreundlich und mal fahrradfeindlich war.

Was ist Active Travel?

Paths for EveryoneDie schottische Regierung definiert Active Travel als: 

„Eine zielgerichtete Reise zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Hilfe eines rollenden Vehikels unternehmen. Das rollende Vehikel schließt die Verwendung eines Rollstuhls oder einer Mobilitätshilfe als Alternative zum Gehen ein“.

Active Travel fasst also diese verschiedenen Arten der Fortbewegung zusammen und behandelt sie als eine einheitliche Zielgruppe. Als die Grünen Teil der schottischen Regierung waren, gab es einen Minister für Active Travel, und ein Großteil der in den letzten Jahren geschaffenen Infrastruktur wurde für alle Arten des Active Travel bereitgestellt. Die Edinburgher Fahrradkampagne Spokes setzt sich typischerweise für die Förderung des gesamten Active Travel ein, nicht nur für die des Radfahrens. Das bedeutet, dass die meisten der jüngsten Infrastrukturprojekte in der Stadt allen Arten der aktiven Fortbewegung zugutegekommen sind.

Die finanzielle Unterstützung für Projekte des Active Travel hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. So werden die in unserem Video angesprochenen fehlenden Verbindungen allesamt in Angriff genommen. In den Meadows zum Union Canal wird eine neue Infrastruktur eingerichtet. Der Union Canal nach Roseburn wird im Dezember 2024 eröffnet. Die Strecke Meadows – George Street ist für 2028 geplant. Diese Projekte sind auch als Zuckerbrot und Peitsche gedacht, um das Autofahren weniger attraktiv zu machen. Die Fortschritte bei letzterem erweisen sich jedoch als zähflüssig. So ist die versprochene Sperrung des Stadtzentrums für den Autoverkehr noch nicht in Kraft getreten. Die geplante Abgabe für das Parken am Arbeitsplatz (Workplace Parking Levy) wurde gestrichen. So erweist es sich als sehr schwierig, die Zahl der Autos in der Stadt zu verringern. Und dabei will Schottland die gefahrenen Autokilometer bis 2030 um 20 % reduzieren. Es gibt jedoch einen Bereich, in dem Fortschritte erzielt wurden: Das stadtweite Verbot des Parkens auf dem Bürgersteig ist in Kraft getreten und zeigt Wirkung. Seit Beginn des Verbots im Januar 2024 wurden bereits über 8.000 Bußgelder verhängt.

Für den Freizeitradverkehr haben sich diese stillgelegten Eisenbahnstrecken als attraktiv erwiesen. Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen stieg von unter 1 % auf über 3 % im Jahr 1995. Für den Gebrauch des Fahrrads, z. B. im Berufsverkehr, hat die viel schwierigere Aufgabe, diese Radwege zu verbinden, jedoch länger gedauert. In den 1990er und frühen 2000er Jahren wurde eine Reihe von speziellen Bus- und Fahrradspuren auf Hauptstraßen eingerichtet. Diese halfen den mutigeren Radfahrern in der Stadt. Der Anteil des Fahrrads an den Arbeitswegen stieg wieder auf 6 %. Schließlich erkannten sowohl die Befürworter des Radverkehrs als auch die Kommunalpolitiker, dass die gemeinsame Nutzung des Straßenraums mit dem Autoverkehr, selbst mit gut ausgebildeten und respektvollen Busfahrern, nicht ausreichte, um mehr Menschen zum Radfahren zu bewegen. 

Im Jahr 2010 veröffentlichte der Stadtrat von Edinburgh den Aktionsplan für aktive Mobilität. Die Stadt entschied sich dafür, Gehen, Radfahren und Radfahren unter dem Begriff „Active Travel“ zusammenzufassen. Vielleicht, weil der Busverkehr bereits überlastet war – das neue Straßenbahnnetz wurde teilweise zur Entlastung des Busnetzes gebaut. Oder vielleicht, weil das Zufußgehen bereits das beliebteste Mittel für Kinder war, um zur Schule zu kommen (64,3 % aller Schulwege im Schuljahr 2007/8). In jedem Fall musste das Radfahren im Mittelpunkt stehen, da die Straßen im Stadtzentrum regelmäßig mit Bussen und Autos verstopft waren.

Der Plan war ehrgeizig. Es sollten nicht nur neue Wege entwickelt und bestehende Wege verbessert werden. Der Plan wollte sie auch miteinander verbinden. So wurde der Weg entlang des Union Canal im Südwesten der Stadt erheblich erweitert, die Arbeiten in The Meadows wurden intensiviert und mit dem Innocent Path verbunden, und ein Großteil der Eisenbahnstrecken im Norden Edinburghs wurde ausgebaut. Doch als die Covid-Pandemie zuschlug, waren die wichtigsten Verbindungen noch immer nicht fertiggestellt.

Bis 2020 sollte die Stadt über 211 Kilometer hochwertige Radwege abseits der Straße verfügen. Während der COVID-Pandemie hat die Stadt dann mit Hilfe der schottischen Regierung in kürzester Zeit 36 Kilometer Radwege auf den Hauptstraßen eingerichtet. Diese wurden angepasst und für die langfristige Nutzung erhalten. Bald darauf begannen die Arbeiten an 3 wichtigen Verbindungen. Im Jahr 2023 wurde die neue Straßenbahnlinie vom Stadtzentrum nach Newhaven eröffnet. Neben einem wichtigen Abschnitt des Leith Walk wurden neue getrennte Radwege gebaut, die Leith mit dem Stadtzentrum verbinden.

Anfang 2024 wurde dann die City Centre West to East Link (CCWEL) eröffnet, die das Wegenetz in Roseburn mit dem Stadtzentrum am Haymarket und weiter östlich gegen die starke Lobby der Geschäftsinhaber verbindet. Und im Dezember 2024 wurde die bisher schwierigste Verbindung fertiggestellt. Die 17 Millionen Pfund teure Verbindung von Roseburn zum Union Canal erforderte zwei neue Brücken über eine Eisenbahnlinie und eine stark befahrene Hauptstraße. 

Einige wichtige Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Die Umgestaltung der George Street in der belebten New Town wird eine umfassende Fußgängerzone und Radwege entlang der gesamten Straße mit sich bringen. Auf dem Abschnitt zwischen The Meadows und George Street, den wir mit dem Fahrrad zurückgelegt haben, wird es einen separaten Radweg auf der Ostseite der Straße geben.

Eine wichtige Lehre für Bremen ist die Art und Weise, wie die Stadt – und Schottland im Allgemeinen – mit dem potenziellen Konflikt zwischen Fußgängern und Radfahrern umgeht. Der Begriff Active Travel ist in Schottland allgegenwärtig. Er zielt darauf ab, die Koexistenz von Radfahrern und Fußgängern zu fördern, in der Überzeugung, dass ihre gemeinsamen Ziele wichtiger sind als ihre Unterschiede. Parks und Grünflächen sind sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer wichtig. Es gibt noch viel zu tun, aber die Anerkennung dieser wichtigen Tatsache hat dazu geführt, dass viele verkehrsfreie Wege geschaffen wurden, die sowohl von Fußgängern als auch von Radfahrern genutzt werden.  

Für das Jahr 2025 gibt es keine aktuellen Zahlen darüber, wie sich der Anteil des Fahrrads am Gesamtverkehrsaufkommen verändert hat. Gezielte Studien und Daten von bestimmten Strecken geben jedoch Aufschluss über die Entwicklung des Radverkehrs in der Stadt. Im Januar 2024 wurde an drei Standorten entlang der neu eröffneten City Centre West to East Link (CCWEL) eine Verkehrsbefragung für alle Verkehrsträger durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr auf dieser Strecke 13 % betrug. Darüber hinaus wurden im Mai 2024 bei einem automatischen Fahrradzähler am Leith Walk/Picardy Place durchschnittlich 1.812 Radfahrer pro Tag gezählt, im Vergleich zu 803 im Mai 2022. Dieser signifikante Anstieg zeigt, dass sich immer mehr Menschen für das Radfahren in Edinburgh entscheiden.

Ist Edinburgh jetzt also eine Fahrradstadt? Das in New York ansässige Institute for Transportation and Development Policy schlägt 8 Elemente vor, die eine Fahrradstadt ausmachen: 

  • Sichere, direkte Radwege – Edinburgh ist auf dem Weg zu einem sicheren, direkten Netz, aber es gibt noch große Lücken.
  • Sichere Straßen durch niedrige Geschwindigkeitsbegrenzungen – Zwischen 2016 und 2018 hat der Stadtrat von Edinburgh den Anteil der Straßen in der Stadt mit Geschwindigkeitsbegrenzungen von 50 % auf 80 % erhöht.
  • Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern beim Radfahren – In Edinburgh gibt es ein deutliches Geschlechtergefälle bei der Beteiligung am Radfahren. Laut dem Walking and Cycling Index 2023 fahren 28 % der Männer mindestens einmal pro Woche mit dem Fahrrad, aber nur 16 % der Frauen.
  • Kinderfreundliches Radfahren – Die Statistiken über den Radverkehr zur Schule lassen auf einen sehr geringen Anteil von Kindern schließen, die mit dem Rad fahren.
  • Integration mit öffentlichen Verkehrsmitteln. An den meisten Bahnhöfen in und um Edinburgh werden durch Fahrradabstellanlagen Verbindungen zur ersten und letzten Meile geschaffen.
  • Speziell für den Radverkehr bereitgestellte Mittel. Diese Mittel wurden in den letzten Jahren sowohl auf kommunaler als auch auf schottischer Ebene drastisch erhöht. 
  • Autofreie Tage. Edinburgh hat zumindest die Sperrung verschiedener Straßen für den Autoverkehr an bestimmten Sonntagen organisiert. Seit Oktober 2022 hat es jedoch keine weithin bekannten autofreien Sonntage mehr gegeben.
  • Weit verbreitete Fahrradgeschäfte und Reparaturwerkstätten. In der von uns gekauften Spokes-Fahrradkarte sind über 40 Einzelhandels- und Reparaturwerkstätten für Fahrräder aufgeführt. 

Edinburgh ist eher eine aufstrebende als eine tatsächliche Fahrradstadt. Daher wird die Stadt mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert werden, wenn die Zahl der Radfahrenden weiter steigt. Die schmalen Abschnitte der gemeinsam genutzten Wege auf den ehemaligen Bahnstrecken müssen dann verbreitert werden. Denn mit hoher Sicherheit wird ein Großteil der neuen Infrastruktur überlastet werden, wenn die Zahlen wie erhofft steigen.

Als Bremer*in gibt es einen einfachen Test dafür, ob eine Stadt das Radfahren wirklich angenommen hat. Hat der behandelnde Arzt/Ärztin oder Zahnarzt/Zahnärztin oder der örtliche Einzelhandel routinemäßig das Radfahren im Blick, wenn er/sie Empfehlungen gibt? Ich weiß mit Sicherheit, dass mein Bremer Hausarzt mir zum Beispiel nach einer Impfung sagt, ob ich mit dem Fahrrad fahren kann oder nicht. In Edinburgh ist dieser Tag noch nicht gekommen. Aber vielleicht wird das bis 2030 die Norm sein.

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1 Comment

  1. Uwe Voigt

    Wonderful Suggestions For pedestrians and cyclists For the political discussion

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