Oslo: Wenn es dem Parkplatz an den Kragen geht

von | Okt 28, 2017

Die norwegische Hauptstadt Oslo will schon seit langer Zeit ihre Treibhausgasemissionen verringern, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. Stadtverwaltungen jeder Couleur proklamieren immer wieder ihre grünen Absichten, um eine der „European Green Capitals“ zu werden, und nun passiert es endlich: 2019 wird Oslo die Grüne Hauptstadt Europas sein.

Ein Hauptproblem ist, dass 55% der CO2-Emissionen in Oslo durch den Verkehr, genauer: durch den motorisierten Individualverkehr entstehen. Und trotz aller guten Absichtserklärungen sind die Emissionen von 1990 bis 2016 um 15% gestiegen. Hier soll sich etwas grundsätzlich ändern:

Nach 8 Jahren im Amt verlor der konservative Bürgermeister 2015 die Wahl, heute regiert eine Rot-Grüne Koalition. Der neue Regierende Bürgermeister, Raymond Johansen ließ schon im Oktober 2015 ein Klimabudget parallel zum regulären Haushalt verabschieden. Bis 2020 sollen die CO2-Emissionen um 50% gegenüber 1990 reduziert werden, die Nullmarke soll 2030 erreicht werden. „The Climate Budget, a first of its kind plan, shows estimated emission reductions, its financing and each agency in charge.“ 42 Maßnahmen nennt der Klimaplan hierfür, und Verkehr ist hier ein Schwerpunkt.

Und dabei ist die Förderung des Radverkehrs eine Schlüsselgröße. Doch unter der konservativen Regierung wurden nur 3 km Radwege bis 2015 gebaut. Das soll sich mit der Grünen Lan Marie Nguyen Berg als Beirätin für Umwelt  und Verkehr ändern.

Neu, radikal und aufregend: Die neue Administration hat erkannt, dass Parken von privaten Autos im öffentlichen Raum ein Hindernis für die Entwicklung einer vernünftigen Fahrradinfrastruktur ist. Also schreitet sie zur Tat:

 

Ein erster Plan war, Privatwagen vollständig aus der Innenstadt  (1,7 km2 zwischen Aker Brygge, Vippetanger und dem Ring 1) zu verbannen, um Platz für 60 km Radwege zu erhalten.

Innenstadt von Oslo

Aufgrund von Protesten insbesondere des Einzelhandels  wurde dann aber beschlossen, nur 650 Stellplätze im öffentlichen Bereich zu streichen. Größere Parkplätze werden erhalten bleiben, aber viele Stellplätze auf der Fahrbahn werden wegfallen. Zielmarke ist Ende 2017, und tatsächlich wird das auch durchgesetzt:

Vorher/Nachher: Eine Straße in Oslo

Das Hauptziel ist, die Menschen vom Auto auf das Rad umsteigen zu sehen. Der Radverkehrsanteil an allen Wegen beträgt zurzeit 8% (und 3% im Winter). Neue Radwege werden jetzt gebaut und der Schneeräumdienst im Winter organisiert. Dafür fallen viele Autostellplätze weg. So werden z.B. im Quartier Grünerløkka (Nordöstlich von der Innenstadt) 185 Stellplätze entfernt. Das Ziel ist, einen Radanteil von 25% zu erreichen – analog Bremen -, und die Aufgabe von Autostellplätzen im öffentlichen Raum wird als das wichtigste Instrument angesehen, um Platz für sicheres Fahrradfahren zu schaffen.

Auch der Lieferverkehr soll neu organisiert werden: In einem neuen Pilotprojekt, das imJuni 2017 anfing, werden drei Lieferwagen der DHL durch elektrische Lastenräder ersetzt: Ein Container in Aker Brygge dient als Mini-Versuchsterminal. Lieferungen werden dort auf drei Lastenräder umgeladen und von dort in die Stadt verteilt.

Bis 2019 wissen wir, ob die Pläne der neuen rot-grünen Stadtverwaltung zur Reduktion der Klimagase erfolgreich sind und ob Oslo Bremen überholen wird. Der Fahrradanteil in Bremen sinkt jetzt schon ab: Die neueste Zahl lautet 23% – ein Gerücht, das sich aus den Zahlen der Uni Dresden von 2013 speisen soll.

Aufwachen Umwelt- und Verkehrssenator! Du wirst weder Deine Klimaziele noch Deine ach so bescheidenen Ziele für die Verkehrswende einhalten, wenn das so weiter geht.

Für mehr Informationen über die Osloer Strategie:

Fahrradstrategie bis 2025 auf Englisch

Fahrradstrategie bis 2015

https://www.oslo.kommune.no/politikk-og-administrasjon/slik-bygger-vi-oslo/byruter-for-sykkel/byrute-6-skoyen-carl-berners-plass/sykkel-og-kollektivoppgradering-pa-ring-2/

https://www.oslo.kommune.no/politikk-og-administrasjon/etater-og-foretak/bymiljoetaten/sykkelprosjektet/

https://www.oslo.kommune.no/getfile.php/13137178/Innhold/Politikk%20og%20administrasjon/Etater%20og%20foretak/Bymilj%C3%B8etaten/Sykkelprosjektet/Dokumenter/Plan%20for%20sykkelveinettet%2014.10.2016.pdf

 

4 Kommentare

  1. Vorstadt Strizzi

    Ich mag die kühle, einige sagen: karge, Art der Nordeuropäer, der Zukunft unaufgeregt und unideologisch zu begegnen und, wie seit Jahrtausenden, den Fährnissen des Klimas verantwortungsvoll zu begegnen.

    Bei unserer Radtour vor 3 Jahren in Norwegen, ich sach nur: Rallarwegen, eine in seiner Transzendenz fast religiöse Naturerfahrung, sind wir zum Abschluss mit dem Zug von Bergen nach Oslo gefahren.

    In Oslo begrüßt wird man von dem Großkunstwerk ‚Rear Window‘ der Künstlerin Marisa Feirrera, das eine ganze Fassade des Osloer Hauptbahnhofs einnimmt. Der Name des Kunstwerks ist dem Hitchcock-Film Rear Window (Das Fenster zum Hof) entlehnt. (Der Zuschauer des Films wird von Hitchcock durch die Erzählung sowie die Kameraeinstellungen äußerst geschickt mehr und mehr in den Film hineingezogen.)

    Während der Betrachtung des Kunstwerks von Marisa Feirrera verändert der (reisende) Betrachter allein durch seine eigene Bewegung die Farben und die Maße der 59 farbigen Streifen:
    Die Heisenbergsche Unschärferelation, die die alte Gewissheit von ‚objektiv‘ und ’subjektiv‘ zerstörte, indem sie nachwies, dass die beiden Begriffe sich unlösbar gegenseitig durchdringen, zum ‚Anfassen‘.
    Das Kunstwerk, bzw. die Breite der farbigen Streifen, basiert neben Heisenberg auch auf der aus der Mathematik bekannten ‚Fibonacci-Folge‘ (1; 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21; 34; 55,…), deren jeweils nächstes Glied immer aus der Summe der beiden vorherigen Glieder besteht. Je höher die Fibonacci-Zahlen, desto mehr nähert sich der Quotient zweier aufeinander folgender Fibonacci-Zahlen dem aus Kunst, Architektur und Natur bekannten ‚Goldenen Schnitt‘ Φ an.

    Heisenberg. Fibonacci. Kunst. Genial gemacht. In all seiner Nüchternheit ganz große publikumswirksame Kunst.

    Mit der gleichen Aufgeklärtheit, mit dem gleichen, von nüchterner Analyse getragenen Schwung machen sich die Osloer an die Umorganisierung ihres Stadtverkehrs.

    Wäre schön, wenn sich Hamburg, und natürlich auch Bremen, sich auf diesen Teil unserer gemeinsamen nordeuropäischen Kultur besinnen würden.

    Geht doch. Der goldene Schnitt.
    https://radverkehrhamburg.wordpress.com/2015/10/22/geht-doch/

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    • Beatrix Wupperman

      „Mit der gleichen Aufgeklärtheit, mit dem gleichen, von nüchterner Analyse getragenen Schwung machen sich die Osloer an die Umorganisierung ihres Stadtverkehrs.“ Ja, so ist es wohl. Aber natürlich erst, seitdem Rot-Rot-Grün die Stadt regiert. Trotzdem hast Du recht, die Ideologie „ich brauch mein Auto vor der Tür“ scheint weniger bestimmend in Oslo zu sein als z.B. in Bremen und Hamburg. Und die Ängste von Verwaltung und Politik vor dem Aufruhr sind offenbar kleiner. Vielleicht gibt es dort diese Wut so nicht, die in Bremen Leuten entgegenflammt, wenn sie von einer Verringerung der Stellplätze reden. Wir haben noch viel Arbeit vor uns….

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      • Vorstadt Strizzi

        Der Kommunalwahlkampf war sehr verkehrsbezogen.
        Die Osloer hatten zu entscheiden zwischen den Konzepten der Konservativen und der Links-Grünen.

        Auch deshalb, wegen der vergleichsweise modernen Planungen der Konservativen, sind die Linken und Grünen mit dem Plan für autofreie Innenstadtbezirke in den Wahlkampf gezogen – und haben dafür eine Mehrheit gekriegt.

        Schon die Konservativen hatten das schwedische Planungsbüro spacescape mit der Ausarbeitung einer Radverkehrsstrategie beauftragt („Who are the cyclists? Are there differences between neighbourhoods? Between women and men? Between children and adults? „). So etwas findet man hierzulande weder bei grünen noch bei linken VerkehrspolitikerInnen.

        Auszug von der Webseite von spacescape:

        „Oslo, the capital of Norway, is one of the fastest growing cities in Europe, and from this fall, the municipality is aiming for the title of bike city.

        Accordingly, a ”bicycle director” was hired in 2013, and since then, the municipality has been working actively with marketing, quick-fix measures, and not least, by the development of a cycling strategy.
        Spacescape has been involved as a consultant in this work and began the process with a thorough examination of Oslo cyclists. We looked at such aspects as, what is the bike modeshare? Who are the cyclists? Are there differences between neighbourhoods? Between women and men? Between children and adults? To develop this knowledge we used questionnaires, cyclist observations, interviews with principals, and image surveys with different types of cyclists. This formed the foundation of the Bicycle Strategy that Spacescape has developed for the city.“
        29.10.2015
        http://www.spacescape.se/oslo-invests-05-bn-usd-on-bicycle-infrastructure/

        Die haben also 2 Jahre lang die Radverkehrsstrategie solide ausgearbeitet (und auch schon angefangen zu malen, was auch ihr Fehler war), auf die sich rotrotgrün jetzt in Teilen auch stützt.

        Aber richtig ist, die Osloer wollten mehr, als die Konservativen zu geben bereit waren.

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        • Beatrix Wupperman

          Danke Strizzi, ich habe den Link unter den Post gesetzt. Guter Hinweis!!

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