Nachdem ARTE im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilm über Portland, Oregon, und die Kultur von „Schraubern“ und „Fahrrad Fahren“ gezeigt hatte, haben viele BremerInnen, und ganz besonders RadfahrerInnen, mich gefragt, ob Portland wirklich so toll ist, wie es uns verkauft wird.
Gut ausgeschilderte Radrouten durch Seitenstrassen im Mt. Tabor, Portland, Oregon
Mein Antwort war: ja und nein.
Portland ist eigentlich ganz cool in vielen Sachen. Es gibt viele gemütliche mobile Essensstände, wo Nachbarn sich bei Street Food treffen, viele kleine, kreative, lokale Geschäfte, dazu eine “Urban Growth Boundary”, in der gesetzlich geregelt ist, wo und wie “auf der grünen Wiese” gebaut werden kann. Demensprechend wird in grüne Verkehrsinfrastruktur investiert, und das ist schon schön. Dazu kommt der Gesamteindruck von echter Freundlichkeit und Gelassenheit (was auch schon der Fall war, bevor 2016 Marijuana legalisiert wurde, wirklich!)
Harter Kern von PendlerInnen auf dem Rad
Portland hat aber auch einen harten Kern von RadlerInnen, die mit dem Rad zur Arbeit fahren, was aber nicht pro Kopf wesentlich mehr ist als in anderen amerikanische Städten. In einem Gebiet, was von Vulkanen geformt ist, fahren diese fitten Menschen viel schneller als ich den Berg hoch (warum mein Erfolg als Radkurierin in Seattle – eine noch hügeligere Stadt im pazifischen Nordwesten – eher bescheiden war).
Alle in Lycra, und alle grüßen sich
Was mir aber noch mehr aufgefallen ist – als Radfahrerin aus Bremen – war die “funktionelle” Kleidung, die alle getragen haben: von Kopf bis Fuss in Lycra und beleuchtet und reflektierend, alle (natürlich) mit Helm (Fahrradhelm tragen in den USA ist wie “nie bei Rot gehen” in Deutschland – absolut moralisches Pflicht, will ich als als Vorbild dienen!). So wirkten sie alle – für mein europäisiertes Auge – sehr befremdlich und unfreundlich. In den USA grüßen solche Menschen sich gegenseitig mit einem Nicken, nur ich werde nie gegrüßt in meinen „Alltagsklamotten“, wie ich es nun gewöhnt bin in Bremen zu fahren.
Die Infrastruktur erklärt es
Obwohl viele Radrouten auf Seitenstraßen verlaufen, wo nur wenige Autos fahren, müssen trotzdem oft größere Strassen überquert werden, oft sogar ohne Ampeln. Und obwohl Portland sich als besonders „nett“ und „höflich„ versteht, war es meine Erfahrung, dass vielleicht nur 25% der AutofahrerInnen bereit waren, mich die Straße überqueren zu lassen (meine Erfahrung als Fussgängerin und ganz besonders mit Kindern waren aber in der Tat anders – da verhalten sich die AutofahrerInnen viel sozialer als in Deutschland!). Diese Radrouten durch Seitenstraßen weisen sehr gute Beschilderungen aus, wo selbst auch TouristInnen gut den Weg finden können, und die Geschwindigkeitsbegrenzung ist auf 20 MpH (ungefähr 32 Km/H) reduziert.
Vision Zero Kampagne
Hintergrund ist die neue „Vision Zero“-Kampagne, die auch in Deutschland bekannt ist.
Die Schilder zeigen Entfernungen in Meilen und in Minuten (was für mich akkurat war, aber ich bin ja noch eine Fitte) und machen es sehr leicht von Laurelhurst, wo meine Eltern wohnen, bis Downtown zu fahren und auch meine Tagung an der Uni mit dem Rad zu besuchen, wie es sich für die werdende Verkehrsforscherin gehört. Damit konnte ich auch gut Orte besuchen, an denen ich noch nie war in Portland.
Sehr sichtbare – aber nicht getrennte! – Radwege in Downtown Portland
Alle Radwege auf der Straße
Aber alle Radwege, die gesamte Führung des Radverkehrs – egal ob in der Innenstadt oder die “Fahrradstraßen” in Wohngegenden – ist auf der Straße, nicht getrennt vom motorisierten Verkehr.
Das fordert von Menschen wie mir echte geistige Aufmerksamkeit. Die oben erwähnten täglichen RadfahrerInnen in Portland bringen diese Aufmerksamkeit problemlos auf. Dieser Zwang zur Aufmerksamkeit macht es aber nicht leichter für Kinder, ältere Menschen oder einfach ungeübte oder unsichere RadfahrerInnen, sich für das Fahrrad als Verkehrsmittel zu entscheiden, geschweige denn für Menschen, die sogar ihr Auto stehen lassen wollen oder könnten. Auch Menschen die entspannt von A nach B fahren wollen – ohne grossen Stress – und entspannt ankommen wollen – ohne grosse geistige Verausgabung -. Radfahren im Mischverkehr mit Autos ist einfach stressiger, und deswegen keine bequeme Wahl für solche Menschen.
Der Vorteil von Bremen, den Portland nicht aufweisen kann: Hier ist Radfahren Alltagsaktivität..
Die Mehrheit der BremerInnen – und viele aus dem Umland, mindestens in Norddeutschland – denken gar nicht drüber nach, sondern nutzen das Rad als Alltagsgegenstand – zum schnellen Einkaufen oder in die Stadt oder zum Ausgehen (niemand muss sich überlegen “wer fährt”). Das ist nicht nur für junge Menschen oder Teenager wichtig, sonder auch für ältere Menschen, die sich zunehmend Pedelecs kaufen, um bequemer mobil zu sein. Viele sehen Mobilität nicht als die Bequemlichkeit, ein Auto direkt vor der Haustür zu haben, sondern die Bequemlichkeit und Flexibilität, entspannt Rad zu fahren. Zu Fuss gehen oder Bahn zu fahren ist hier normal, wobei ich auch in Portland sehr volle Busse zu den “Berufsverkehrszeiten” erlebt habe.
Mit Kindern steigt die Sensibilität
Seit ich Kinder habe, bin ich noch sensibler gegenüber der Gefahr, mit Autos im Mischverkehr fahren zu müssen, und mir ist die Tatsache noch bewusster, dass viele potentielle RadfahrerInnen sich unwohl fühlen wenn sie mit Autos im Mischverkehr fahren müssen. Das wird leider oft von Bremen’s PolitikerInnen und PlannerInnen vergessen. Auch viele erfahrene RadfahrerInnen wie ich fühlen sich viel wohler auf getrennten Radwegen, ganz besonders, weil die Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autos hier in Deutschland, auch innerorts, aussergewöhnlich hoch sind.
Von Bremens Vorteilen können die PortländerInnen nur träumen
Bremen hat viele Vorteile, von denen Portland nur träumen kann. Es gibt viele Kilometer getrennte Radwege, auch wenn diese oft plötzlich enden, weil keine Planung da ist.
Aber Bremen könnte tatsächlich etwas von Portland lernen, z.B. die guten Wegweiser und die durchgehenden Radrouten, Bremen sollte aber zusehen, dass diese weiterhin getrennt vom Autoverkehr gebaut werden.
Eine Bedarfsampel in Portland (Burnside) – die Radfahrerin drückt, und 4 Spuren motorisierter Verkehr – inklusive eine Buslinie – werden angehalten.
Die StadtplanerInnen und PolitikerInnen in Portland scheinen den Radverkehr ernst zu nehmen, trotz des „mit dem Auto“ Charakters der bestehenden Radwegen. Dies ist schon ein Anfang, auch wenn es überwiegend den Fitten und den Sicheren RadfahrerInnen hilft. Aber Portland muss auch seine Zielgruppen erweitern, damit z.B. meine 11-jährige Nichte und ihre Freundinnen auch Rad fahren können und wollen.
Die EntscheidungsträgerInnen in Bremen scheinen etwas desorientiert zu sein. Wenn die IngenieurInnen, PlannerInnen und PolitikerInnen wirklich ihren eigenen Verkehrsentwicklungsplan ernst nähmen, um mehr Radverkehr zu erzeugen, müssten sie in erster Linie die echten verkehrspolitischen Bedürfnisse der Bremer BürgerInnen ernst nehmen. Statt des hehren Zieles des „fliessenden (motorisierten) Verkehrs“ würden sie sehr schnell erkennen, dass es viele gute Beispiele, passende Belege und umfassende Forschung in Europa und der restlichen Welt gibt. Wenn Bremen das wahr nähme, könnten die hiesigen EntscheidungsträgerInnen auch endlich erkennen, dass Bremen viele Vorteile aufweist, auch gegenüber einer selbsternannten „Fahrradstadt“ wie Portland.
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